Schneiderkapelle
Nach langen Vorbereitungen und mehr als zweijährigen, intensiven Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten, wird die mehr als 600 Jahre alte Schneiderkapelle am 29. Juni 2025 neu eröffnet. Es soll ein Ort für Kultur, Erinnerung und Begegnung werden.
Inhaltsverzeichnis
DIE SCHNEIDERKAPELLE ZWISCHEN KULTURSPEICHER & KULTURRAUM
Im Depot der Pfarre am Franz-Reinisch-Platz 1 waren seit langem in einer Raumecke unter Kalkanstrichen Spuren gotischer Wandmalereien sichtbar, die zu einer 1832/33 aufgegebenen Kapelle gehört haben sollen, die als sogenannte Schneiderkapelle überliefert ist. Den im Pfarrarchiv und Stadtarchiv erhalten gebliebenen Urkunden nach eine Liebfrauenkapelle, wurde sie 1410 oder kurz davor gestiftet und dürfte ihrem Namen nach auf den Stifter, Heinrich Reichschneider, einen einflussreichen Bürger zu jener Zeit in der Stadt Hall zurückgehen.
Mit der Untersuchung der Stadtarchäologie kam ein spätromanisches Bauwerk zu Tage, das, sieht man von den über die Jahrhunderte im Schutt langsam sich auflösenden Deckenbalken ab, den gesamten baulichen Bestand an Fenstern und Türen, Wandputzen, Estrichen über 600 Jahre unverändert bewahrt hat und uns ein bis dato unerreichtes Bild vom Inneren mittelalterlicher Stadthäuser im gesamten Tiroler Raum wiedergibt. Die Struktur des Mauerwerkes wie auch die Bestimmung der Deckenbalkenreste lässt das Bauwerk etwa um 1320 datieren und macht damit die Frühzeit der Stadtentwicklung um Kirche und Friedhof sichtbar. In das oberste Geschoß dieses Vorgängerbaus wurde zu Beginn des 15. Jh. die besagte Kapelle eingebaut. Dafür wurden die Wandbereiche mit runden Wandsäulen in den Raumecken und Wandmitten gegliedert, über denen sich ein Kreuzrippengewölbe in schlichter Ausführung erhob. Damit erhielt der ursprüngliche Raum einen sakralen Charakter, der durch die Ausstattung mit den Wandmalereien, um 1430 einen Abschluss fand. Der Freskenbestand wurde bis ins späte 16. Jh. ergänzt und war bis zur Aufgabe der Kapelle in den 1830er Jahren sichtbar.
Das Freskenprogramm zeigt zwei Bildreihen übereinander. Über einem gemalten Hermelinwandbehang, in dem angelehnt an die runde Wandvorlage die Szene des hl. Alexius unter der Stiege eingebettet ist, findet sich eine Reihe von Heiligen mit plastisch in den Putz eingedrückten Heiligenscheinen. Unkonventionell ist die Einbindung der Wandvorlagen der Gewölbe in das Bildprogramm, die in Wandmitte den hl. Leonhard von Noblat mit der Kette in der linken Hand hervorhebt. Das obere Register in den Gewölbebögen ist mehrfach neugestaltet worden. Die heute freigelegte Schichte fokussiert auf die Darstellung der hl. Barbara mit goldenem Kelch und daneben das später hinzugekommene Wappen mit einer Schere, das an den Stifter Reichschneider erinnert. Es handelt sich um den größten Neufund gotischer Wandmalereien der vergangenen Jahrzehnte in Tirol.
Der geplante Kulturraum ist künftig auch sichtbarer Kulturspeicher. Er soll dem Besucher möglichst von allen Zeitschichten erzählen, diese entrückt und geschützt von einem freistehenden Erschließungsturm, der zwischen den Stockwerken durch die Jahrhunderte des Gebäudes führt.
Die Berührung des Unberührten mag gleichsam Inspiration für Altes wie für Neues sein, ein Museum von sieben Jahrhunderten und gleichzeitig etwas ephemeres, vergängliches, als anregende Kulisse im künftigen Kulturwerkraum.
Walter Hauser, Landeskonservator
Mit freundlicher Unterstützung von Michaela Frick u. Michael Weißkopf (Ikonografie), Alexander Zanesco (Archäologie); Kurt Nicolussi (Dendrochronologie); Jörg Riedl u. Michael Schretthauser (Restaurierung); Matthias Berger (Architektur).
Pfarre St. Nikolaus
Bachlechnerstraße 3 | 6060 Hall in Tirol | Foto: Watzek