• Kulturgut Hall
  • Kulturgut Hall
  • Kulturgut Hall
  • Kulturgut Hall
  • Kulturgut Hall

Schneiderkapelle

Nach langen Vorbereitungen und mehr als zweijährigen, intensiven Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten, wurde die mehr als 600 Jahre alte Schneiderkapelle am 29. Juni 2025 neu eröffnet. Es soll ein Ort für Kultur, Erinnerung und Begegnung sein.

Ehemalige Schneiderkapelle | Franz-Reinisch-Platz | Wider.Stand

Die sogenannte Schneiderkapelle, ursprünglich die Liebfrauenkapelle am alten Friedhof um die Pfarrkirche St. Nikolaus, wurde um das Jahr 1410 von Heinrich Reichschneider gestiftet. Obwohl die Kapelle 1832/33 aufgelassen und weitgehend abgetragen wurde, brachten Restaurierung und archäolo-gische Ausgrabungen in den letzten Jahren bedeutende Funde zum Vorschein – darunter ein mittelalterliches Gebäude, in das die Kapelle einst eingebaut war, ein spätromanisches Haus mit originalen Oberflächen, das über 600 Jahre unverändert geblieben ist, sowie beeindruckende Fresken-fragmente aus dem 15. Jahrhundert.
Der Platz südlich der Pfarrkirche trägt seit 2023 den Namen Franz-Reinisch-Platz und erinnert an den Tiroler Ordensmann Franz Reinisch, der dem NS-Regime aus Gewissensgründen den Gehorsam verweigerte und am 21. August 1942 in Brandenburg bei Berlin hingerichtet wurde. Die imposante Bronzeskulptur „geköpft“ von Lois Anvidalfarei hält den Märtyrer des Gewissens im Gedächtnis, aber auch die vielen anderen Opfer der national-sozialistischen Gewaltherrschaft.
Das revitalisierte Gebäude mit dem programmatischen Namen Wider.Stand soll künftig als Kultur- und Gedächtniszentrum der Pfarre St. Nikolaus Verwendung finden.

Schneiderkapelle von Nordosten gesehen
Schneiderkapelle von Nordosten gesehen
Vortrags- und Veranstaltungsraum im Erdgeschoss
Vortrags- und Veranstaltungsraum im Erdgeschoss
Abgang zum Gewölbekeller
Abgang zum Gewölbekeller
Wandmalereien von 1430 sowie die Bronzeskulptur von von Josef Bachlechner d.J.
Wandmalereien von 1430 sowie die Bronzeskulptur von Josef Bachlechner d.J.
Hl. Barbara (Ausschnitt des Freskos)
Hl. Barbara (Ausschnitt des Freskos)
Blick nach Aussen auf den Franz-Reinisch-Platz
Blick nach Aussen auf den Franz-Reinisch-Platz
Bronzestatue "Geköpft" von Lois Anividalfarei
Bronzestatue "Geköpft" von Lois Anividalfarei
Gewölbekeller - Ausstellungsraum und Bar
Gewölbekeller - Ausstellungsraum und Bar
Erste Ausstellung im Juli 2025: Wolfgang Pfaundler "Photographien"
Erste Ausstellung im Juli 2025: Wolfgang Pfaundler "Photographien"
Wolfgang Pfaundler "Photographien"
Wolfgang Pfaundler "Photographien"

DIE SCHNEIDERKAPELLE ZWISCHEN KULTURSPEICHER & KULTURRAUM

Im Depot der Pfarre am Franz-Reinisch-Platz 1 waren seit langem in einer Raumecke unter Kalkanstrichen Spuren gotischer Wandmalereien sichtbar, die zu einer 1832/33 aufgegebenen Kapelle gehört haben sollen, die als sogenannte Schneiderkapelle überliefert ist. Den im Pfarrarchiv und Stadtarchiv erhalten gebliebenen Urkunden nach eine Liebfrauenkapelle, wurde sie 1410 oder kurz davor gestiftet und dürfte ihrem Namen nach auf den Stifter, Heinrich Reichschneider, einen einflussreichen Bürger zu jener Zeit in der Stadt Hall zurückgehen.
Mit der Untersuchung der Stadtarchäologie kam ein spätromanisches Bauwerk zu Tage, das, sieht man von den über die Jahrhunderte im Schutt langsam sich auflösenden Deckenbalken ab, den gesamten baulichen Bestand an Fenstern und Türen, Wandputzen, Estrichen über 600 Jahre unverändert bewahrt hat und uns ein bis dato unerreichtes Bild vom Inneren mittelalterlicher Stadthäuser im gesamten Tiroler Raum wiedergibt. Die Struktur des Mauerwerkes wie auch die Bestimmung der Deckenbalkenreste lässt das Bauwerk etwa um 1320 datieren und macht damit die Frühzeit der Stadtentwicklung um Kirche und Friedhof sichtbar. In das oberste Geschoß dieses Vorgängerbaus wurde zu Beginn des 15. Jh. die besagte Kapelle eingebaut. Dafür wurden die Wandbereiche mit runden Wandsäulen in den Raumecken und Wandmitten gegliedert, über denen sich ein Kreuzrippengewölbe in schlichter Ausführung erhob. Damit erhielt der ursprüngliche Raum einen sakralen Charakter, der durch die Ausstattung mit den Wandmalereien, um 1430 einen Abschluss fand. Der Freskenbestand wurde bis ins späte 16. Jh. ergänzt und war bis zur Aufgabe der Kapelle in den 1830er Jahren sichtbar.
Das Freskenprogramm zeigt zwei Bildreihen übereinander. Über einem gemalten Hermelinwandbehang, in dem angelehnt an die runde Wandvorlage die Szene des hl. Alexius unter der Stiege eingebettet ist, findet sich eine Reihe von Heiligen mit plastisch in den Putz eingedrückten Heiligenscheinen. Unkonventionell ist die Einbindung der Wandvorlagen der Gewölbe in das Bildprogramm, die in Wandmitte den hl. Leonhard von Noblat mit der Kette in der linken Hand hervorhebt. Das obere Register in den Gewölbebögen ist mehrfach neugestaltet worden. Die heute freigelegte Schichte fokussiert auf die Darstellung der hl. Barbara mit goldenem Kelch und daneben das später hinzugekommene Wappen mit einer Schere, das an den Stifter Reichschneider erinnert. Es handelt sich um den größten Neufund gotischer Wandmalereien der vergangenen Jahrzehnte in Tirol.
Der geplante Kulturraum ist künftig auch sichtbarer Kulturspeicher. Er soll dem Besucher möglichst von allen Zeitschichten erzählen, diese entrückt und geschützt von einem freistehenden Erschließungsturm, der zwischen den Stockwerken durch die Jahrhunderte des Gebäudes führt.
Die Berührung des Unberührten mag gleichsam Inspiration für Altes wie für Neues sein, ein Museum von sieben Jahrhunderten und gleichzeitig etwas ephemeres, vergängliches, als anregende Kulisse im künftigen Kulturwerkraum.
Walter Hauser, Landeskonservator
Mit freundlicher Unterstützung von Michaela Frick u. Michael Weißkopf (Ikonografie), Alexander Zanesco (Archäologie); Kurt Nicolussi (Dendrochronologie); Jörg Riedl u. Michael Schretthauser (Restaurierung); Matthias Berger (Architektur).
Pfarre St. Nikolaus
Bachlechnerstraße 3 | 6060 Hall in Tirol | Foto: Watzek